Mit einem bemerkenswert einseitigen Artikel zur Frage nach der Kanzlerkandidatur bei der Union hat der Spiegel
einmal mehr ein schulbuchmäßiges Beispiel für Haltungsjournalismus abgeliefert. In einem Gastbeitrag
wettert der Politikwissenschaftler Joachim Behnke derart offensichtlich gegen Markus Söder (CSU) als möglicher Kanzlerkandidat der Union, dass man sich fragt, ob der Leser an dieser Stelle für dumm verkauft werden soll.
Behnke verurteilt den Populismus, bedient sich dabei aber dessen Instrumente
Dass Herr Behnke in Armin Laschet (CDU) offensichtlich den besseren Kanzlerkandidaten der Union
sieht, ohne diesen namentlich zu erwähnen, sei ihm im Rahmen der Meinungsfreiheit natürlich gestattet. Eine andere Frage ist es allerdings, wie ein solcher Artikel aufgebaut wird und vor allem, welcher Argumente man sich dabei bedient.
Gleich zu Beginn spricht Behnke gut 40 Millionen Bundesbürgern die Fähigkeit einer politischen Willensbildung ab (“Offenbar leidet das halbe Land unter Gedächtnisverlust“) und versucht damit offenbar, die aktuell haushoch überlegenen Umfragewerte Söders gegenüber Laschet zu relativieren. Dann beschäftigt er sich in der Einleitung seines Artikels ausschließlich mit dem Wahlsystem in den USA, der Geschichte der Republikaner und spricht schließlich von der “Machtergreifung von Donald Trump“, bevor er etwas umständlich einen Bogen zum eigentlichen Thema – dem Duell um die Kanzlerkandidatur bei der Union – schlägt.
An dieser Stelle sollte der Kollege Behnke daran erinnert werden, dass Donald Trump in einer westlichen Demokratie rechtmäßig in das Amt des Präsidenten gewählt wurde. Hier von einer “Machtergreifung“ zu sprechen, bedient populistische Elemente, welche Behnke im weiteren Verlauf seines Artikels verurteilt.
Um sein Argument des kollektiven Gedächtnisverlustes des halben Wählervolkes zu stützen, muss Behnke sehr weit in der Vergangenheit wühlen und wird schließlich im Jahr 2005 fündig. Damals noch als CSU-Generalsekretär sprach sich Markus Söder für eine Verschärfung des Sexualstrafrechts aus, insbesondere wenn sich solche Straftaten gegen Kinder richten, die von der damals amtierenden rot-grünen Bundesregierung abgelehnt wurde. Konkret wird Söder dessen Wortwahl vorgeworfen, wonach er dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder und der rot-grünen Regierung eine Mitschuld bei jeder zukünftigen von Wiederholungstätern begangenen Sexualstraftat an Kindern geben wollte. Man muss die Rhetorik zwar nicht unterstützen, man kann aber zumindest erahnen, worauf Söder inhaltlich hinauswollte.
Markus Söder wird in die rechte Ecke gestellt
Andererseits haben die Haltungsjournalisten des Mainstreams aber keinerlei Hemmungen, der AfD eine Mitschuld an Tötungsdelikten zu geben, die gegen Migranten und/oder Politiker wie Walter Lübcke gerichtet sind. Und natürlich eignet sich die AfD auch ganz hervorragend, um Markus Söder eine gewisse Nähe zum rechten Gedankengut zu unterstellen. So verweist Behnke auf Söders im Jahr 2018 geäußerte Ablehnung des “Asyltourismus“ und seine ablehnende Haltung gegenüber der EU, die dieser damals von der AfD übernommen habe.
All diese Argumente – die Forderung nach einer Verschärfung des Sexualstrafrechts (bzw. die dabei verwendete Rhetorik), die Ablehnung von “Asyltourismus“ und Kritik an der EU – sprechen aus Behnkes Sicht gegen eine Eignung von Markus Söder als Bundeskanzler. Dabei vergisst Behnke freilich, dass es sich diesen Punkten um Themen handelt, bei denen es durchaus unterschiedliche Meinungen und Argumente geben darf.
Wahrscheinlich hat der Autor das dann doch noch eingesehen und versucht nun, Söder einen Strick daraus zu drehen, dass er seine Meinung zu den beiden letztgenannten Punkten danach wieder geändert habe. Dies sollte gerade für einen Politikwissenschaftler jedoch keine große Überraschung sein, da es erstens auch ein Zeichen von Stärke sein kann, eine zuvor gefasste Meinung auf der Grundlage neuer Erkenntnisse anzupassen und dies zweitens umso mehr für Berufspolitiker gilt.
Behnke verunglimpft Bayern
Um seinem Unmut über die aus objektiver Sicht durchaus berechtigten Ambitionen auf die Kanzlerkandidatur von Markus Söder noch deutlicher Luft zu machen, schreckt Behnke auch nicht davor zurück, ganz Bayern und die CSU zu verunglimpfen. Gegen Ende seines Artikels bezeichnet er die CSU als “Regionalpartei“, was sachlich zwar stimmt, in diesem Kontext aber völlig deplatziert erscheint. Außerdem verbreitet er, dass die CSU die “kleinste Partei im Bundestag“ sei. Hier sollte man dem Politikwissenschaftler zunächst einmal erklären, dass im Bundestag “Fraktionen“ sitzen und keine “Parteien“. Da Behnke irrtümlich aber von “Parteien im Bundestag“ spricht, trifft diese Behauptung auch in diesem Fall nicht zu. Gemessen an der Mitgliederzahl ist die CSU nach CDU und SPD die drittgrößte Partei in Deutschland.
Zudem bezeichnet Behnke Söders “Bayern-First-Positionen“ als problematisch. Hier sei die Frage gestattet, welche Ausrichtung dieser Mann von einem Ministerpräsidenten des Freistaats Bayern erwartet. Ein Ministerpräsident oder Bundeskanzler (oder sonstiger Regierungschef), der nicht in allererster Linie die Interessen der eigenen Bevölkerung im Blick hat, hat schlichtweg seinen Beruf verfehlt.
In diesem Zusammenhang ist sich Behnke auch nicht zu schade, die Bayern pauschal als ein Volk von “Bierzeltbesuchern“ zu verunglimpfen. Dabei wären nicht wenige Bundesbürger froh, wenn sie ein Bierzelt (oder auch einen Biergarten) mal wieder von innen sehen dürften…
Quellen:
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/markus-soeder-ist-charakterlich-ungeeignet-kanzler-zu-werden-gastbeitrag-a-8219dc45-a3ee-4930-b126-2122b5341573