Erst das Land, dann die Partei und dann die Person - so lautet ein alter und wohlformulierter Grundsatz in der Politik. Doch auch diesen hehren Gedanken scheint die CDU in der Stunde ihres historischen Debakels bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz infrage zu stellen. Zumindest lassen sich einige Aussagen von Kanzlerin Angela Merkel, über die die Bild berichtet, in diese Richtung interpretieren.
Bis zur Bundestagswahl so viele Menschen wie möglich impfen
Bei der Sitzung des CDU-Präsidiums am heutigen Montag, dürfte es vor allem um das Wundenlecken und die Ursachenforschung für den Absturz der im Südwesten einst so starken Union gegangen sein. Dem Vernehmen nach soll sich Merkel dahingehend geäußert haben, "dass wir bis zur Bundestagswahl ein hohes Maß an Normalität gewährt bekommen ... Wir müssen bis zur Bundestagswahl so viele Menschen wie möglich geimpft haben."
Wohlwollend - wohl aber auch etwas naiv gedacht - könnte man nun zu dem Schluss kommen, die Kanzlerin wolle damit lediglich ein greifbares Ziel für die Unterbreitung ihres viel zitierten "Impfangebots" benennen. Man hätte auch sagen können "bis zum Ende des Sommers", "bis zum Tag der Deutschen Einheit" oder "bis zum 28. August" - warum also ausgerechnet "bis zur Bundestagswahl"? Geht es Merkel bei dieser Aussage wirklich an allererster Stelle um das Wohl des Volkes? Wenn dem so wäre, hätte sich die Regierung Merkel rechtzeitig und in ausreichender Menge um Impfstoff für Deutschland kümmern können und sich dabei nicht auf die EU verlassen, die ihre Unfähigkeit bei der Organisation komplexer Vorgänge schon mehr als einmal unter Beweis gestellt hat. Gleiches gilt konsequenterweise auch für die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, wenn man nur an deren Zeit im Bundesverteidigungsministerium denkt. Worum geht es also wirklich?
Bei der Ursachenforschung für die historischen Wahlniederlagen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz scheint man sich bei der CDU auf den angenehmsten "Sündenbock" zu konzentrieren. Susanne Eisenmann, Spitzenkandidatin der CDU Baden-Württemberg, hat noch am Wahlabend erklärt, die Verantwortung übernehmen zu wollen und wird sich aller Wahrscheinlichkeit nach in den politischen Ruhestand verabschieden, nachdem sie mit 21,7 % in ihrem Wahlkreis Stuttgart II weder das Erst- noch ein Zweitmandat gewinnen konnte.
Bei den inhaltlichen Ursachen für die Abwendung der Wähler stürzt sich die CDU auf das nach wie vor große Impfchaos - anstatt sich bei dieser Fragestellung mit den zumindest fragwürdigen Aktivitäten rund um die "Masken-Affäre" und die "Aserbaidschan-Connection" auseinanderzusetzen. Beides ist aktuell Gegenstand staatsanwaltlicher Ermittlungen. Wäre es nicht viel naheliegender, zu vermuten, dass die Wähler durch eben diese in den letzten Wochen publik gewordenen Vorgänge ihr Kreuz an anderer Stelle gemacht haben oder lieber gleich ganz zu Hause geblieben sind? Auf diese Idee scheinen bei der CDU aber nur die wenigsten Funktionäre zu kommen - am allerwenigsten die Kanzlerin.
Also dann alle zum Impfen schicken? Wenn das nur so einfach wäre... Seit Ende Dezember 2020 die ersten "Angebote" gemacht wurden, überziehen die politisch Verantwortlichen ihr Volk mit einem beinahe schon satirisch anmutenden Chaos an allen Ecken und Enden. Erst ist nicht genügend Impfstoff da, dann gibt es keine Termine für die am meisten gefährdeten Risikogruppen, Schnelltests werden voreilig für 1. März angekündigt, Impfstoffe (Astrazeneca) müssen als "reine Vorsichtsmaßnahme" ausgesetzt werden und, und, und...
Auch wenn es bis zu den Bundestagswahlen (dem neu ausgegebenen Ziel für das "Impfangebot" an alle oder zumindest die meisten) noch über sechs Monate sind, so scheint selbst dieses Minimalziel gefährdet. Warum sonst muss Merkel explizit darauf hinweisen? Es scheint also keine Selbstverständlichkeit zu sein. Ebenso wie es in der Union auch keine Selbstverständlichkeit zu sein scheint, dass man sich als Abgeordneter - und damit direkter Vertreter des Volkes - nicht nebenbei noch mit dubiosen Geschäften die Taschen füllt. Nein, bei der Union braucht es hierfür eine entsprechende "Ehrenerklärung", die sich dann bezeichnenderweise nur auf Geschäfte im Zusammenhang mit der COVID-19-Krise beschränkt. All dies spricht für sich und legt die tatsächlichen Ursachen für das Wahldebakel der CDU in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz schonungslos offen.
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